LG G6 im Test – das ultimative Flaggschiff ohne Knall-Effekt

Das LG G6 ist das neue Flaggschiff des Mischkonzerns. Es bringt die Abkehr vom Modulsystem und eine effektive Weitwinkelkamera. Wir haben das Smartphone ausprobiert und unsere Eindrücke für euch zusammengefasst. Jüngst schickte LG sein neues Top-Modell in den Ring. Wir erhielten von LG Germany bereits vor dem Marktstart ein LG G6, allerdings ohne das Headset, mit dem es später in den Verkauf ging, weshalb es nicht Bestandteil dieses Tests ist. Das LG G6 ist technisch auf der Höhe der Zeit und überzeugt durch eine flüssige Oberfläche und gute Performance. Aber reicht das?

 

Die Technik

Die Displays der Boliden werden immer größer: Erstens, weil größere Displays anscheinend stark nachgefragt werden, zweitens, weil die Hersteller die Frontpartie immer effizienter ausnutzen. Das LG G6 kommt mit einem 5,7 Zoll-Display. Das LCD-Panel löst 1.440×2.880 Bildpunkte auf (564 ppi).

Angetrieben wird das LG G6 von einem Snapdragon 821 aus dem Hause Qualcomm. Der Prozessor verfügt über insgesamt acht Kerne, vier davon laufen mit 2,35 GHz. Ihnen zur Seite stehen vier GB Arbeitsspeicher, mehr als genug Platz, auf dem sich das ressourcenhungrige Android ausbreiten kann. Das merkt man im Betrieb. Ab Werk stehen 32 GB zur Verfügung. Etwas mehr als 20 GB sind frei verfügbar, der Speicher lässt sich allerdings mit einer microSD-Karte erweitern – und das dürften auch die meisten Nutzer tun.

 

 

Das LG G6 überträgt bis zu 600 MBit/s im Downlink via LTE, vorausgesetzt, die Netze geben das her, was derzeit zumindest in Deutschland nirgends der Fall ist. Die LTE-Bänder um 700, 800 und 900 MHz werden unterstützt, was für europäische und insbesondere deutsche Kunden nicht uninteressant ist. Einerseits bieten niedrigere Frequenzen eine bessere Ausbreitung, vor allem für ländliche Regionen vorteilhaft, andererseits beginnen die Netzbetreiber derzeit damit neue LTE-Frequenzbänder zu erschließen. So begann unlängst die Telekom damit ihr LTE auch auf 900 MHz, dem früheren GSM-Bereich, anzubieten.

Die Frequenzen um 700 MHz sind derzeit noch durch das terrestrische Antennenfernsehen blockiert, dürften aber über kurz oder lang dem Mobilfunk zufallen. Das LG G6 ist hier also für die Zukunft gut aufgestellt. Ein Highlight des LG G6 ist definitiv die Kamera auf der Rückseite. Sie löst mit 13 Megapixeln auf und verfügt über einen Weitwinkelmodus, der recht überzeugend war. Die Frontkamera hat ein Fünf-Megapixel-Objektiv. Das Flaggschiff wiegt 163 Gramm und misst 148,9×71,9×7,9 mm.

 

 

Verarbeitung

Wenig überraschend überzeugt das LG G6 durch eine hochwertige Verarbeitung. Nachgebende Stellen gibt es nirgends, die Haptik ist wertig und das Smartphone mit den Glasfronten, die von einem Metallrahmen verbunden werden, wirkt robust.

Ein besonderer Pluspunkt ist die plan eingebaute Hauptkamera, die zudem auch noch gut ist. Der rückwertig eingebaute Fingerabdruckleser hebt dieses Plus freilich wieder auf. Der lang gezogene Formfaktor wirkt ungewöhnlich. Das Smartphone lässt sich dennoch passabel handhaben. Positiv fallen die zwei Lautstärketasten auf, die sich gut drücken lassen. Der USB-C-Anschluss beginnt langsam seine Vorzüge im heimischen Elektrozoo auszuspielen.

 

 

System und Oberfläche

Das LG G6 kommt mit dem halbwegs aktuellen Android 7.0. Wie viele aktuelle Android-Smartphones spielt das LG G6 nach dem ersten Einschalten eine kurze Melodie.

Irritierenderweise schaffte es auch dieses Smartphone in unserem Test nicht automatisch die richtige Uhrzeit aus dem Netz zu ziehen. Dieses Problem hatten zuvor bereits andere Smartphones während der Einrichtung. Die LG-Oberfläche wirkt erneut etwas effizienter als die UIs früherer Gerätegenerationen und ist schnell und flüssig. Weder hier, noch beim Starten und Nutzen von Apps, kam es zu Rucklern oder Wartezeiten, obwohl LG nicht den schnelleren Snapdragon 835 verbaut hat. Der Hersteller konnte nicht, da Samsung hier die zeitlichen Exklusivrechte hatte. Den Nutzer dürfte dies im Alltag allerdings nicht stören.

 

 

Hier und da verstecken sich Event-Sounds in der Oberfläche, etwa beim Entsperren/Sperren oder Fotografieren. Die Sounds sind sehr dezent und gefallen nach einiger Zeit dennoch durch einen gewissen Wiedererkennungswert. Außerdem können die QSlide genannten Add-Ons von laufenden Apps im Vordergrund platziert werden. Es gibt sie etwa für das Telefon, Mails oder den Kalender. Wir konnten uns im Test nicht vorstellen sie regelmäßig zu nutzen, aber einige Nutzer könnten sie als praktisch empfinden.

LG packt abermals einige Tools und Apps auf das LG G6, die vermutlich kaum jemand nutzen wird. Erneut ist QuickMemo+ mit dabei, eine recht nützliche Notizfunktion, die für manche Nutzer tatsächlich im Alltag gute Dienste leisten könnte. Hinzu kommen die diversen Google-Dienste, ebenfalls vorinstalliert, die allerdings seit einiger Zeit stets in einem Ordner „Google“ versammelt sind, was die Homescreens übersichtlicher macht.

Trotzdem, rund zehn Gigabyte des integrierten Speichers gehen für System und Apps drauf, die ab Werk installiert sind. Man möchte meinen, es wäre möglich speichersparsamere Mobilbetriebssysteme zu konzipieren.

 

 

Im Einsatz

Das Always-On-Display des LG G6 funktionierte erneut gut. Der Doppeltipp auf das Top-Gerät zeigt sofort, was zuletzt passiert ist. Praktisch, aber auch notwendig für einen schnellen Zugriff, denn der Power-Button, der gleichzeitig den Fingerabdrucksensor beherbergt, liegt hinten unter der Kamera. Das empfinden wir als immens unpraktisch. Das Entsperren macht es nun jedes Mal nötig das Gerät zu drehen, was bei dem ungewöhnlichen lang gezogenen Design des LG G6 zusätzlich nervt. Der Power-Button mit dem Sensor ist plan eingelassen und kreisrund. Er lässt sich dennoch recht zielsicher treffen und der Sensor ist extrem schnell. Doch dass es nicht möglich ist, ein auf dem Tisch liegendes LG G6 zu entsperren, ohne es umzudrehen, stört deutlich. Manche Nutzer dürften hier wieder zu alternativen Entsperrmethoden wie Pin oder Muster greifen.

Eine Eigenschaft, die immer mehr aktuelle Smartphones aufweisen, begeisterte uns erst recht spät. Der USB-C-Anschluss beginnt seinem Ruf als neuer Universalstandard gerecht zu werden, auch wenn es bei Spezifikationen und deren Abbildung hier und da noch gewaltig klemmt. In unserem Fall konnten wir auf ein weiteres Kabel am Multi-Ladegerät verzichten und das LG G6 einfach an das USB-C-Netzteil des MacBooks (zum Testbericht) hängen. Dabei lädt das Smartphone in der Regel zügig auf, nur ab und an beobachteten wir ein extrem langsames Laden. Das deutet darauf hin, dass das Aushandeln der maximalen Spannung und Stromstärke zwischen den fremden Geräten nicht immer zuverlässig funktioniert und in diesem Fall auf einen sicheren, niedrigeren Wert zurückgefallen wird.

 


Die Telefonie mit dem LG G6 gefällt uns gut. HD Voice wird gut abgebildet, der Gesprächspartner versteht den G6 Nutzer einwandfrei. Dieser jedoch hört den Anderen teilweise etwas dumpf und minimal abgehackt, ein bekanntes Phänomen bei integrierten Geräuschunterdrückungen. Auch ist die maximale Lautstärke des Hörerlautsprechers etwas leise. Der Lautsprecher ist allenfalls Mittelmaß. Keinesfalls kommt er an das Volumen eines iPhone 7 (zum Testbericht) heran. Musik, die auf dem LG G6 abgespielt wird, klingt unangenehm laut, schrebbelig und nach Plastik.

Die Kamera spielt auf dem Niveau aktueller Top-Smartphones. Besonderheit ist hier die Weitwinkel-Linse, bei Smartphones noch eine Seltenheit. Sie soll Aufnahmen von Motiven ermöglichen, ohne zuvor zurücktreten zu müssen und das funktionierte erstaunlich gut. Ein Effekt bei unserem Modell, welches aus der Vorserienproduktion stammt, führte dazu, dass der Sucher in dunkleren Umgebungen deutliche Verzögerungen beim Nachführen der Bewegungen des Trägers zeigte. Die Kamera-App ist ansonsten gut ausgestattet und auch der Wechsel der Modi ist flüssig.

 

Hier und da verstecken sich Details, die manche Nutzer irritieren. So muss zunächst die maximale Auflösung der 13 Megapixel-Hauptkamera für Aufnahmen ausgewählt werden, standardmäßig wird mit 8,7 Megapixel aufgenommen. Die volle Auflösung erhält nur, wer ins 4:3-Format umstellt. Der Akku weist 3.300 mAh auf. Das ist recht viel, trotzdem leert sich die Batterie zügig. Selbst bei völliger Inaktivität ist ein vollgeladenes LG G6 nach gut knapp drei Tagen leer. Obwohl der Autor vom iPhone verwöhnt ist, wirkt das wenig, zumal auch Apple-Handys bei reger Benutzung schnell leer laufen.

 

 

Keine Module mehr

Das LG G5 sollte LG ein neues Ökosystem bescheren, in dem Nutzer ihre Smartphones mit Modulen pimpen können. LG selbst legte vor und brachte etwa einen Kamera-Griff, der in unserem damaligen Test auch ganz passabel funktionierte. Das Konzept war aber hier und da noch unausgereift. Ein Wechsel der Module war hier etwa nicht möglich, ohne das LG G5 komplett herunterzufahren, da im Kamera-Modul auch der Akku integriert war. Dann verlor LG anscheinend Motivation oder Inspiration und legte keine Module mehr nach. Die Zubehörindustrie, auf die LG gesetzt hatte, nahm das Angebot ebenfalls nicht an und so muss auch dieser Ansatz Smartphones Modular zu machen als gescheitert betrachtet werden.

 

Fazit

Das LG G6 weiß in vielen Punkten zu überzeugen. Andere Aspekte wie der rückseitige Fingerabdruckleser stören, LG ist hier aber nicht allein. Die Frage, die bleibt, ist, wer die Käufer des rund 750 Euro teuren Smartphones sein werden. Wer das LG G6 kaufen könnte: Das sind zufriedene Kunden der Vorgängermodelle LG G4 und LG G5, denn LG legt eine gelungene Evolution vor. Das sind auch Nutzer, die Android-Spitzentechnik haben und nicht zu Samsung greifen wollen. Das können Nutzer sein, die auf die Weitwinkelkamera und die recht vielseitige Kamera-App abzielen. Das LG G6 überzeugt indes sicher keinen iPhone-Nutzer von Android.

Es hat einen problematischen Aspekt mit vielen Spitzenmodellen der Android-Welt abseits vom Superstar und einziger echter iPhone-Konkurrenz, was Image und Publicity angeht, der Samsung Galaxy S-Reihe, gemein. Es fehlt der „Will-ich“-Effekt. Alles ziemlich gut bis gut zu machen, reicht nicht, wenn man Menschen motivieren möchte 750 Euro auszugeben. Man bekommt inzwischen ordentliche Technik für die Hälfte. Andererseits sind Geräte wie das LG G6 nicht dazu prädestiniert eine eigene Fanbase aufzubauen. Wie bringt LG sein Flaggschiff zu den Käufern? Das ist die Schlüsselstelle der G-Reihe.
Mit Material von Alexander Bergmann

 

Roman van Genabith: Editor [Markets, Mobile, Media]
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